OK, es hat erheblich länger als eine Woche gedauert bis zur Publikation vom 2. Teil von Mein Kind macht keinen Quatsch, aber dafür gibt es zahlreiche gute Gründe, auf die ich nächstes Mal näher eingehen werde. Jetzt möchte ich nur feierlich sagen: „I´m back!!!“
…und nun hier endlich Teil 2:
Mit der Einschulung öffnete sich dann aber ein anderes Kapitel: weder die Eltern der anderen Kinder, noch die Lehrer und schon gar nicht der Schulleiter hatten Verständnis für Carlos´ Verhalten oder unsere Situation. Ständig war das Mitteilungsheft voll (siehe Mein Kind macht Quatsch), bereits drei Wochen nach seiner Einschulung wurden wir das erste Mal zum Direktor geladen. Das allererste was er da (und überhaupt jemals) zu mir sagte, war: „Also, ich bin erstaunt, wie wenig erzogen Carlos ist!“ Das war schon wie ein Schlag ins Gesicht. Genauso gut hätte er sagen können: „Also, ich bin fassungslos, was für unfähige Eltern Sie sind!“ Wir erklärten unsere Sicht der Dinge und berichteten über frühere Konflikte in der Kindergartenzeit, uns wurden die Kontaktdaten des SPZ (wo wir ja eben bereits gewesen waren) und die eines Kinder-und Jugendpsychiaters gegeben, nach dem Motto „gehen Sie da mal hin und regeln das! Wir haben unsere Pflicht mit dem Hinweis an Sie jetzt getan.“
Die Einträge im Mitteilungsheft wurden nicht weniger. Ein paar Wochen später wurde eine Klassenkonferenz einberufen. Es wurde beschlossen, dass Carlos die Klasse wechseln soll, was mir nicht unrecht war, denn mittlerweile ging ich ihn nur noch ungern unter den Blicken der anderen Eltern vom Hort abholen. Aber auch in der neuen Klasse gingen die Probleme weiter, obgleich nicht ganz so heftig wie davor. Zu Hause wurde es jedoch umso schlimmer: er hörte gar nicht mehr, schrie mich nur noch an, beleidigte mich aufs wüsteste und bekam richtige Wutanfälle, aus denen er dann bis zu 30 Minuten nicht herauskam und unaufhörlich schrie. Auch ich, völlig überfordert mit allem (habe ja selber schon genug um die Ohren mit der alzheimerkranken Oma, meinem Studium, meinem Job, damaligen Problemen in der Partnerschaft und meinen beiden jüngeren Töchtern, da gerade mal 1 und 3 Jahre alt, mit denen ich ab 15:30 quasi alleinerziehend war, denn Schatzi fängt um 16:00 an zu arbeiten), war nur noch am Schreien – und, ja, ein/zwei Mal ist mir sogar die Hand ausgerutscht. Drei Mal suchte ich in dieser schweren Zeit die Erziehungsberatung auf, die mir aber, abgesehen für das entgegengebrachte Verständnis für meine Situation, auch nicht wirklich weiterhelfen konnte.
Im Dezember wurde beschlossen, dass Carlos von nun an verkürzten Unterricht erhalten solle, da er sich bereits ab der dritten Stunde so gar nicht mehr konzentrieren konnte und „einfach durch“ war. Natürlich stimmten wir zu. Außerdem schlug man uns das „Re:tour-Programm“ für ihn vor: „Verhaltensauffällige“ Kinder werden in Kleinstgruppen von 6 intensivst von mehreren Pädagogen beschult und erhalten zudem im gleichen Rahmen Ergotherapie, etc… Nachdem sie in ein bis maximal zwei Schuljahren gelernt haben, wie man sich in der Schule verhält und lernt, kommen sie wieder auf die Regelschule zurück (daher „retour“). Das hörte sich nicht schlecht an… Und verlockend war auch der Gedanke, nicht ständig Angst wegen Carlos´ Verhalten zu haben, denn dort würde er ja genau wegen diesen Problemen aufgenommen.
Zeitgleich entwickelte er endlich den für ihn so wichtigen Kontakt zu seinen Mitschülern. Er schloss Freundschaften, baute sich seine kleine Clique auf (die nicht nur Quatsch machte), insbesondere zu einem Jungen entwickelte sich eine Freundschaft, die übrigens bis heute anhält. Das hatte er davor noch nie! Und auch im Mitteilungsheft stand nichts sein Verhalten Betreffendes mehr (nur noch Organisatorisches, und dass er seine Stifte besser anspitzen sollte). Im Februar gab es dann eine weitere Konferenz, allerdings nicht wegen weiterer Vorfälle, sondern einfach um den Status Quo, auch was das Re:tour-Programm anging, zu besprechen. Mein Eindruck täuschte nicht: Carlos´ Verhalten hatte sich laut dem Horterzieher wirklich verbessert. Aber die Lehrerin, für die er bereits unwiderruflich den Stempel des „Troublemakers“ auf der Stirn hatte, und anscheinend nur noch die Wochen bis zum möglichen Re:tour-Programmbeginns zählte, bis sie ihn endlich los war, wollte das nicht so recht zugeben. Auf meine Bedenken hin, ihn jetzt wirklich in das Re:tour-Programm zu geben, ihn jetzt WIEDER aus der Klasse zu nehmen, gerade wo er endlich angekommen war im Schulalltag, in der Klasse, Freunde hatte und sich wirklich bemühte, „lieb“ zu sein, entgegnete sie nur, herumdrucksend, dass man ja nicht wirklich sagen könne, dass sich sein Verhalten echt gebessert hatte, weil er ja eben nur verkürzt in die Schule ginge, und eben auch nur eine Hofpause mitmache (Hofpause=Konfliktpotenzial) und auch nach den Winterferien eine Woche krank war, und, und, und,… Da vor den Osterferien eh kein Platz bei Re:tour frei werden würde, beschloss ich also erst einmal abzuwarten, wie sich mein Sohn in der Schule weiter entwickeln würde. In der Zwischenzeit sollten wir beim Jugendamt einen Integrationsstatus und einen extra Horterzieher für ihn beantragen.
Er blieb „lieb“ (also für seine Verhältnisse – aufgedreht und schnell abgelenkt wird er wohl immer sein), behielt seine Freundschaften, den Kontakt zu den anderen Kindern und fühlte sich eigentlich recht wohl in der Klasse, wenn da eben nicht seine Klassenlehrerin gewesen wäre, die ihn stets und ständig von jeglichen Aktivitäten ausschloss. Der für mich ausschlaggebende Punkt, ihn aus der Schule zu nehmen, war dann der Waldlauf: schon Wochen vor dem Termin erzählte Carlos von dem Waldlauftraining, das die Sportlehrerin mit seiner Klasse im Sportunterricht abhielt. Er belegte immer einen der ersten drei Plätze und war mächtig stolz. In einer Rundmail teilte die Lehrerin den Eltern der Klasse mit, dass die Kinder sich am Waldlauftag um 7:45 auf dem Hof einfinden sollen, von da aus würden sie dann gemeinsam zu dem Ort gehen, an dem der Waldlauf stattfinden sollte. Umso verwirrter war ich, als mich der Sonderpädagoge der Schule (nicht mal die Lehrerin persönlich!) einen Tag vorher anrief und mir mitteilte, dass ihn die Lehrerin gebeten hatte, uns noch einmal Bescheid zu geben, dass wir Carlos „morgen dann bitte erst um 11:00 in die Schule bringen sollen“, davor fände ja der Waldlauf statt.
… WHAAATT??!! Da hatte er sich doch schon so lange drauf gefreut! Ich war kurz davor auszuflippen, was eigentlich vor Lehrern, Erziehern und dergleichen nicht meine Art ist, aber in dem Moment war ich so geschockt, frustriert, enttäuscht, verletzt und vor allem aber richtig sauer! Der Pädagoge ließ durchscheinen, dass er ja eigentlich auch meiner Meinung wäre, und druckste herum, dass er nur das, was die Lehrerin sagte, weiterleite und da halt nichts tun könne, etc., etc.,.. Abends rief mich dann die Lehrerin an, anscheinend hatte der Pädagoge ihr meine Aufregung und mein Unverständnis über ihre Entscheidung mitgeteilt. Ich erklärte ihr zwar meine Frustration darüber und sagte ihr, wie sehr sich Carlos auf den Tag gefreut hatte. Auf die Frage, warum er denn nicht mitmachen dürfe, meinte sie nur, dass er ja nicht auf sie höre und sie Angst habe, dass er auf dem Weg wegrennen könnte. Seltsamerweise änderte sich ihre Einstellung aber auch nicht, nachdem ich anbot, Carlos morgens persönlich mit dem Auto zum Waldlauf zu fahren…
In dem Moment wurde mir schlagartig klar, dass ich meinen Sohn da rausholen musste – und dass eine „jetzt-bleibt-er-erst-recht“-Taktik die Lehrerin vielleicht ärgern, im Endeffekt aber nur ihm selbst schaden würde! Und so entschieden wir uns schließlich FÜR das Re:tour-Projekt.
Mittlerweile geht Carlos seit drei Wochen in die neue Schule und es gefällt ihm gut. Die Pillen (Medikinet 20 mg retard) haben wir übrigens mit der Entscheidung für Re:tour abgesetzt – die positiven Effekte haben die negativen Begleiterscheinungen (Appetitlosigkeit, Einschlafprobleme, Unausgeglichenheit, Niedergeschlagenheit, …) nicht wettgemacht. Aber wenn er nun in eine Schule geht, die auf „verhaltensauffällige“ Kinder spezialisiert ist, in der 4 ausgebildete Pädagogen auf maximal 6 Kinder kommen, und er außerdem noch eine Verhaltenstherapie macht (nach einem Dreivierteljahr sind nun endlich Therapeutensuche, Vorgespräche und Bewilligung der Krankenkasse durch!!), sollte das doch eigentlich reichen! …Zumal wir ihn ja gar nicht so gestört finden… 😉