Ich freue mich schon aufs Loslassen! – oder??

Meine Kinder fordern mir sehr viel ab: die zwei Kleinen sind gerade mal 3 und 4 Jahre alt, und der Größere zwar schon 8 aber durch sein ADHS ist er meist noch anstrengender als seine kleinen Schwestern. Gerade las ich den Beitrag von Stadt Land Mama über Das Ende Der Kleinkindphase und wie man dann selbst als Mama wieder mehr Freiheiten und Zeit für sich gewinnt. Viele Mütter schrieben aber auch darüber, dass sie Probleme mit dem Loslassen (gehabt) hätten. „Ich nicht“, dachte ich daraufhin gleich, „ich werde dann zehn Kreuze machen!“ – und doch…. Wird mir das dann wirklich so leicht fallen, wenn es soweit ist? Manchmal denke ich, dass ich diese Baby-/Kleinkindzeit nur als soooooo anstrengend empfinde, und empfunden habe, weil bei mir gerade und eigentlich genau seit ich Kinder bekommen hab, extrem viel los ist. Damit meine ich, dass ich nicht „nur“ Job und Kindererziehung miteinander vereinbaren muss, sondern ich habe

Erstens: keinerlei familiäre Unterstützung – meine Mutter lebt in Köln und ist generell eine sehr, sagen wir mal, atypische Oma, die ihre Enkel auch so  nie über ein Wochenende nehmen würde – jedenfalls nicht freiwillig. Mein Freundeskreis war als ich schwanger wurde weitgehend kinderlos, die paar die Kinder hatten, waren aber auch schon allesamt weggezogen aus  Berlin.

Zweitens: genau in dem Jahr als unser erstes Kind geboren wurde, erkrankte meine Oma an Alzheimer und mein Opa wurde Dialysepatient. Da sich weder meine Mutter noch meine Tante um sie kümmerten übernahm ich es, ich tat es ja auch gerne, schließlich hatte ich schon immer ein ganz besonders enges Verhältnis zu meinen Großeltern gehabt, war ich doch sogar bei ihnen aufgewachsen!

Drittens: ich befand mich am Anfang meines Studiums bereits im 7.  Schwangerschaftsmonat, habe also das komplette Studium mit Kind, und später mit Kindern, vereinbaren müssen; seit meine jüngste Tochter in die Kita geht, kam auch noch mein Nebenjob an einer Hochschule hinzu.

Viertens: ich war schon immer ein Ausgehtyp – abends vor dem Fernseher zu sitzen und quasi durch Kinder oder was auch immer ans Heim gebunden zu sein, widerspricht meiner Natur! Vielleicht klingt das narzisstisch, aber ich denke schon, dass häusliche Typen sich mit dieser Umstellung leichter tun.

Fünftens: die lieben Kinder selber, klar jedes ist mal anstrengend, es gibt Phasen… aber mein Sohn hat ADHS. Viele können sich das gar nicht vorstellen, aber es ist eine unglaubliche Belastung, denn er ist so gut wie nie ruhig und ausgeglichen. Manchmal habe ich das Gefühl, als befände ich mich täglich im Krieg gegen ihn. Therapien, auch mal mehrere pro Woche, zu denen er hingebracht und abgeholt werden muss, tun ihr übriges mit meiner knappen Zeit. Mittlerweile ist es etwas besser, aber ich erinnere mich noch gut daran, als er noch sehr klein war. Oft bin ich aufgewacht und habe schon die Stunden gezählt wann es endlich Zeit für den Mittagsschlaf ist, dann wann es endlich abends ins Bett geht. Ich habe diese Kleinkindzeit gar nicht richtig genießen können.

Sechstens: mein Perfektionismus. Ja, ich bin sehr ehrgeizig. Natürlich möchte ich auch eine gute Mutter sein und meinen Kindern eine pädagogisch wertvolle Erziehung mitgeben. Aber ich scheitere daran fast täglich. Entweder weil ich nicht die Zeit habe, ihnen jeden Abend noch eine Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen, mit ihnen zu malen und zu basteln, oder weil ich einfach selber so fertig bin, Konflikte mit meinem Sohn gießen da noch zusätzlich Öl ins Feuer, dass ich statt stark und geduldig eher launisch und labil bin  und ein Tag schließlich auch mal im Gebrüll endet.

Siebtens: mein Partner arbeitet abends. Ich bin also ab 16:00 alleinerziehend.

Achtens: ich habe drei Kinder… und ich bin mit drei Kindern ab 16:00 alleinerziehend.

Ich habe eigentlich diese Baby-und Kleinkindzeit gar nicht richtig genießen können. Und manchmal frage ich mich schon, warum. Bin ich einfach anders als die anderen? Oder machen sich die anderen etwas vor? Ich liebe doch meine Kinder auch über alles, das tue ich wirklich. Aber anders als die meisten empfand ich alles einfach als puren Stress. Heute denke ich, dass dieses Gefühl nicht (nur) meinen Kindern selber, sondern vor allem auch den Umständen geschuldet war. So gut wie alles war im Umbruch, eine Baustelle: kein fester Job, Studium noch nicht abgeschlossen, Oma und Opa krank und außer mir war niemand da, der ihnen half. Es war auch niemand da, der mir half. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie meine Mutter, kurz vor der Entbindung meiner zweiten Tochter zu mir sagte, ich sähe „abgespannt“ aus. Darauf zu kommen, mir anzubieten, ihren Enkel (damals war es ja sogar nur einer) mal für einen Tag zu nehmen, kam sie nicht…

Ich konnte diese Kleinkindzeit gar nicht richtig genießen. Das ist so schade, denke ich mir nun, wo sie laaaaangsaaaam dem Ende zugeht, immer häufiger, denn klar, die Kinder werden größer und selbständiger und benötigen dann keiner 24/7 Betüddelung mehr, aber dann sind sie eben auch … nun ja, größer eben. Sie werden nie, nie mehr zwei oder drei Jahre alt sein. Sie werden nie mehr nach dem Toilettengang lauthals durch die ganze Wohnung „MAMAAAAAA, Kacka gemaaaacht!“ rufen (hoffe ich jedenfalls ;)), irgendwann kann man sie dann auch einfach mal – erst ein paar Stunden, dann sogar mal eine halbe Nacht – alleine zu Hause lassen, und brauch sich keinen Kopf mehr um irgendwelche Babysitter machen, die sie wieder vergraulen könnten, und irgendwann werden sie nicht mehr tausendmal nachts aufstehen, weil sie bitte noch mit Mama aufbleiben und Fernsehen schauen wollen, dann machen sie lieber ihr eigenes Ding. Statt dass sie mich jedes Wochenende, an dem man ja eigentlich mal ausschlafen könnte, um 7:00 morgens wecken (siehe Bild), werde ich sie erst gen Mittag wach kriegen – und so sehr ich mich darauf freue, wieder mehr Freiheit zu genießen, desto wehmütiger werde ich auch bei diesem Gedanken.

Notiz an mich: gaaanz viel Puppen spielen, malen und Geschichten vorlesen heute Abend!!!

 

Mein Kind macht keinen Quatsch – mein Kind hat ADHS!!!

…ok, es macht natürlich schon Quatsch, sogar oft und viel, aber die Ursache dafür ist nicht etwa, dass es böse oder unerzogen ist, sondern dass es wirklich eine neurologische Störung hat. Im Dezember letzten Jahres wurde nun endlich das diagnostiziert, was wir eigentlich schon immer vermutet hatten: Carlos hat ADHS, ganz eindeutig, wie der Arzt meinte.

Die Diagnose ging über mehrere Termine, drei, glaube ich. Bei denen wurden mit ihm allerhand Spiele und Tests gemacht und im Endeffekt kam dann eben das heraus, was wir schon immer ahnten: ADHS. Komischerweise war die erste Reaktion Erleichterung, obwohl bei unserem Kind gerade eine Krankheit diagnostiziert wurde, aber endlich wusste ich, dass sein Verhalten weder normal (und ich nur völlig unbelastbar) noch meine Schuld, bzw. die meiner Erziehung war.

In einem früheren Gespräch mit der leitenden Kinderpsychiaterin aus dem SPZ (Sozialpädagogisches Zentrum) wurde uns auf unseren geäußerte Verdacht auf ADHS hin entgegnet, dass das ja gar nicht sein könne, da Carlos ja gerade so wunderbar ruhig im Hintergrund Playmobil gespielt hätte. Ja, das tat er auch, jedoch meinte der Arzt, der nun eben ADHS bei Carlos diagnostiziert hat, dass selbst Kinder mit ADHS sich sehr wohl für einen Zeitraum auf etwas das ihnen Spaß macht, konzentrieren können, und das also kein Gegenargument oder gar Ausschlusskriterium sei.

Wir wurden damals übrigens vom Kindergarten aus erstmals zum SPZ geschickt, weil Carlos gebissen und generell einfach ständig gestört hatte; da war er gerade einmal 3 Jahre alt. (Die Diagnose ADHS darf übrigens offiziell erst ab 6 Jahren gestellt werden.) Nach dem Gespräch mit der besagten Psychiaterin sollte nun entschieden werden, wie man Carlos am besten helfen könne. Er durchlief sowohl Tests bei der Logopädin wie auch bei einer Ergotherapeutin. Im Endeffekt entschied die Psychiaterin; also die, die ihn so ruhig beim Spielen erlebt hatte. Sie meinte, dass wohl eine Logopädin ihm am besten helfen könne, da bei ihm aufgrund der Zweisprachigkeit (Papa ist wie gesagt Spanier) sein Wortschatz noch nicht so ausgeprägt wie bei gleichaltrigen Kindern wäre, und er sich dadurch anscheinend mehr durch sein auffälliges Verhalten als verbal zu verständigen vermochte.

Klang einleuchtend, und so probierten wir es brav aus. Er ging fortan also wöchentlich zu einer Logopädin, in der Tat erweiterte sich sein Wortschatz, doch an seinem Verhalten änderte sich…. Tja, also eben rein gar nichts…

Bei unserem jährlichen Spanienurlaub bei der Familie wurde es sogar noch schlimmer. Carlos drehte regelrecht auf, wie ein junger Hund. Je mehr Leute kamen, desto mehr musste er sich durch sein unpassendes, auffälliges Verhalten profilieren. Es war so schlimm, dass ich den Entschluss fasste, ihn nach dem Urlaub doch zu einer Ergotherapie zu schicken. Ich hatte echte Hoffnung in die Therapie. Nun würde er endlich ruhiger werden, weniger Konflikte in der Kita verursachen und wir dadurch weniger mit den Erziehern und anderen Eltern haben. Alles würde sich normalisieren.

Was soll ich sagen?… er ging gerne in die Therapie, einmal die Woche, spielte, turnte und bastelte dort mal mehr, mal weniger begeistert mit, aber an seinem Verhalten änderte sich rein gar nichts.

Die Probleme in der Kita gingen weiter. Ich graulte mich vor Elternabenden, weil mir das Verhalten meines Sohnes den anderen Eltern gegenüber unangenehm war. Noch unangenehmer als die Hilflosigkeit (was soll ich denn bitte tun, wenn die Erzieher mich beim Abholen sprechen wollen und mir berichten, wie aufgebracht die Mutter von XY war, weil Carlos ihr Kind wieder einmal gebissen/ geschlagen/geärgert hatte), war der Zwiespalt in dem ich mich (teilweise bis heute) stets befand: einerseits kennst du dein Kind, weißt um seine „Eigenheiten“, und heißt vieler seiner Ausbrüche und Reaktionen natürlich nicht gut, gleichzeitig willst du es aber auch verteidigen, denn eines ist klar: völlig ohne „Grund“/ Auslöser wird er XY ganz sicher nicht gebissen/ geschlagen/geärgert haben, dennoch ist natürlich klar, dass das Verhalten, das es an den Tag legt gelegt hat) inakzeptable ist, aber man muss, finde ich immer, den Gesamtkonflikt sehen. Was war das für eine Situation aus der der Konflikt entstand? Ein Kind, gerade eines mit ADHS, kann in einer Konfliktsituation nämlich nicht reflektieren, innehalten und cool bleiben und das jeweilige Problem ausdiskutieren, ein Kind, gerade eines mit ADHS, wird in einer Konfliktsituation auch nicht sofort den nächsten potenziellen Streitschlichter/ Konfliktlöser (also einen Erzieher oder Lehrer oder die Eltern) aufsuchen. Nein, ein Kind, vor allem eines mit ADHS, wird in den allermeisten Fällen impulsiv und unüberlegt reagieren und dabei womöglich über die Stränge schlagen, weil es seine eigenen Grenzen, Stärke und die der anderen eben nicht adäquat einzuschätzen vermag, weil sein Nervensystem eben nicht dazu in der Lage ist, Reize, die entsprechende Gefühle auslösen, adäquat zu filtern. So wie bei Babys, die genauso sehr weinen, wenn ihnen die Mama wegläuft, wie wenn jemand ihnen ihren Schnuller klaut. Durch den ständigen Dopaminmangel im Gehirn stürmen die Reize ungefiltert auf das Kind ein und können nicht richtig verarbeitet werden. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung führt dies dazu, „dass es den Kindern schwerfällt, ihren Bewegungsdrang, ihre Gefühle und ihre Aufmerksamkeit zu kontrollieren. Aus diesem Grund spricht man von einer verminderten Fähigkeit zur Selbststeuerung“. Ein ADHS-Kind reagiert also weitaus empfindlicher und konsequenterweise auch umso stärker auf die stärker gefühlten Reize. Dieses Nicht-Filtern-Können der jeweiligen Reize, die ja ständig auf uns einprasseln, führt auch zu der überaus leichten Ablenkbarkeit dieser Kinder und der Konzentrationsschwäche, sprich, dem „Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom“. Kommt dann noch die Hyperaktivität hinzu, ist das Chaos perfekt! 😉

Tragisch sind auch die möglichen Begleiterscheinung des ADHS für die Kinder: da oft ihre (fein-)motorischen Fähigkeiten nicht so ausgeprägt sind wie die der anderen Kinder, und es natürlich am nötigen Konzentrationsvermögen hapert, können sie viele Aufgaben nicht in der gleichen Qualität lösen wie ihre gleichaltrigen Mitschüler/“Mitkindergartenkinder“, obwohl sie von der Intelligenz dazu eigentlich sehr wohl in der Lage wären (die ist nämlich genau wie bei dem „normalen“ Durchschnittskind ohne Verhaltensauffälligkeiten), und ab und zu kratzt das natürlich dann auch am Selbstbewusstsein und kann sich sogar aufs Selbstwertgefühl auswirken. Bei meinem Sohn kam hinzu, dass er auch noch der jüngste in seiner Kita-Gruppe war. In der Gruppe waren nur Kinder, die 2008 geboren waren, er aber ist im Januar 2009 geboren, durfte also gerade noch mit hinein (es war der einzig freie Platz in seiner Altersstufe als wir einen Kitaplatz gesucht hatten). Eine weitere drohende Begleiterscheinung von ADHS-Kindern ist die Außenseiterrolle: da sie (gefühlt) immer ärgern und oft überreagieren, möchte niemand mit ihnen spielen und sie werden ausgegrenzt. Ich kann mich besonders an eine Situation mit meinem Sohn erinnern in der er nach dem Kindergarten anfing zu weinen und mir sagte, er wolle nicht mehr dorthin gehen (er hat übrigens nie gefremdelt, ging stets mit Begeisterung in die Kita und versteckte sich regelmäßig als ich oder sein Papa ihn von dort abholen kamen, weil er nicht mit nach Hause, sondern lieber weiterspielen wollte), weil alle ihn dort ärgern und keiner „sein Freund“ sein will. In einem Gespräch mit seiner Erzieherin verriet diese mir, dass er sich (von sich aus- was er sonst nie tat!) im Morgenkreis meldete und sagte, dass er einen Freund haben möchte und traurig ist, dass nie jemand mit ihm spielen wolle und alle ihn immer ärgern würden. Ich konnte in dem Moment meine Tränen nicht mehr zurückhalten (sie übrigens auch nicht), so leid tat mir mein Kleiner (damals gerade mal 4 Jahre alt). Da die Gruppe aber größtenteils aus tollen, verständnisvollen Eltern (und Erziehern) bestand, wurde er niemals ausgegrenzt, durfte immer an allen Gruppenaktivitäten (Ausflügen, etc…) teilnehmen und wurde auch zu einigen Geburtstagen eingeladen.

Als die 2008er Kinder dann eingeschult wurden, kam er in eine altersgemischte Gruppe in der gleichen Kita. Anfangs war ich nicht begeistert, aber erstaunlicherweise erging es ihm da viel besser. Er war nun der älteste seiner Gruppe, die Kleineren schauten zu ihm auf, er konnte beeindrucken und hatte Freunde. Da er sehr einfallsreich und kreativ ist und immer die „besten“ Spielideen hatte, wollten alle mit ihm spielen. Sein neuer Erzieher und er verstanden sich auch super (bis heute), er war wirklich entspannt. Natürlich gab es auch in dieser Gruppe mal Probleme mit ihm, jedoch immer wenn mir der Erzieher davon berichtete, tat er es stets mit einem Augenzwinkern und der Bemerkung („…pero son niños“ – „Kinder halt…“).

Mit der Einschulung öffnete sich dann aber ein anderes Kapitel… Fortsetzung folgt nächste Woche!