Entspannt euch, Mütter!*

„Die Zahl der Mütter mit Erschöpfungssyndrom bis hin zum Burn-out, mit Schlafstörungen, Angstzuständen, Kopfschmerzen oder ähnlichen Erkrankungen ist in den letzten zehn Jahren um 37 Prozentpunkte gestiegen“1 – Oh mein Gott! Wie konnte es nur so weit kommen? Mütter sind gestresst wie nie, aber nicht, weil die Kinder heute anstrengender geworden sind als sie es in früheren Generationen waren, oder weil sie mit weniger Geld und Mitteln das Gleiche bewältigen müssen als noch vor 30 Jahren (ganz im Gegenteil!) … Nein, das Problem ist ein gesellschaftliches. Eine Gesellschaft, in der alles möglich sein muss, die von sich selbst und anderen viel zu viel erwartet. Das Problem sind wir Mütter selber!

Mütter wollen einfach alles perfekt haben, qualitativ hochwertig und stets pädagogisch wertvoll – denn so wird es ja schließlich auch von einem erwartet. Die krassen Beispiele vom Chinesischkurs in der Kita und Kinderwochen, deren Tagesabläufe bis in die letzte Minute genauestens durchgetaktet sind, kennen wir schon zur Genüge, und dass das nicht gut ist fürs Kind, wissen wir auch, weshalb wir es nicht tun. Aber da gibt es ja noch massenhaft Dinge, die das Kind sicher nicht überfordern (ob´s etwa die Mütter überfordern könnte, interessiert hier ja eh nicht), die man aber UNBEDINGT machen muss, wenn man eine gute Mutter sein will…

Der Stress, den wir uns selber machen – fangen wir mal ganz vorne an, bei der

Geburt: der Nachwuchs muss heutzutage „ganz natürlich“, ohne jegliche Schmerzmittel, zur Welt gebracht werden. Diese Entbindung muss dann als „das schönste Erlebnis ever, ever, ever“ wahrgenommen und weitergegeben werden. PDA oder gar ein geplanter Wunschkaiserschnitt sind tabu. Viele Mütter erkranken in Folge ihrer viel zu hohen und abgesehen davon völlig unsinnigen Erwartungen an sich selber an Depressionen, fühlen sich als Versagerin, wenn die Geburt nach 36 Stunden schmerzhafter, aber leider nicht effektiver, Wehen doch im Kaiserschnitt endet.

Stillen: muss man sein Kind UNBEDINGT, und mindestens bis das Kind ein Jahr alt ist! Wehe der, die das nicht hinkriegt!…

Breichen selber machen, natürlich ausschließlich aus Biozutaten, die man frisch vom Markt kauft – nein, nicht, weil es billiger ist, oder das Kind es so lieber mag, sondern weil man das einfach so machen muss!

PEKiP Kurs, Babymassage- oder auch Babyschwimmkurs sind nur einige Aktivitäten, zu denen man sich und das Neugeborene schleppen muss – egal in welchem Zustand, schließlich soll´s ja der gesunden Entwicklung des Kindes dienen!

Täglich an die frische Luft! Bei jedem Wetter! Baby ist ja meist eh schön wind- und wetterdicht im Kinderwagen verpackt und Mami … ist doch egal!

Ist das Kind dann schon älter und geht in die Kita oder in die Schule, muss auch Mami wieder arbeiten gehen. Sonst wäre sie ja wohl voll das Hausmütterlein! In der Woche noch viel zu unternehmen, geht also zeitlich nicht mehr, umso mehr müssen nun die Wochenenden verplant werden, frei nach dem Motto „mehr ist mehr“, es gilt:

An den Wochenenden muss etwas unternommen werden! Immer! Faulenzen, oder gar mal Langeweile beim Kind aufkommen lassen? Geht GAR NICHT! Man quält sich also ähnlich früh wie in der Woche beim ersten Mucks des Kleinen aus dem Bett, bereitet ein ernährungstechnisch vollwertiges Frühstück vor, schnitzt Apfelringe, die man mit auf den Spielplatz nimmt, packt noch schnell die Bio-Dinkel-Kekse ein und macht sich auf zum ersten (wer jetzt dachte, es gäbe nur eines pro Tag -oder gar pro Wochenende- hat noch keine Kinder …oder ist eine Rabenmutter!) Ausflugsziel des Tages, dem Spielplatz. Von da kann man ja per Handy ein paar Verabredungen für den Nachmittag für sein Kind (natürlich! -für wen sonst?) klarmachen. Nach dem biologisch wertvollen Mittagessen macht man sich dann auf, im idealsten Fall mit Kinds Freund/in, zum Legoland/ Zoo / Kino/ Bambooland/ Spaßbad/…, von da aus geht´s dann noch über ein Straßenfest zurück nach Hause, wo das nächste Highlight wartet: Pizza selber machen oder ähnliches, dann noch eine Kinder-DVD ansehen, Pyjamaparty mit Kissenschlacht und schließlich tot umfallen…

Da habe ich ja schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich mit meinen am Samstag mal „nur“ auf den Spielplatz gehe und danach einen Kuchen backe!

Aber so „entspannt“ wie ich jetzt vielleicht klinge, bin ich leider bei weitem nicht! Ich setze mich selber ständig unter Druck, eine „perfekte Mutter“ zu sein, habe mich durch zwei schmerzmittelfreie Geburten gequält (beim dritten Kind habe ich mir dann eine PDA setzen lassen – die letzte Geburt davor war erst 1,5 Jahre her und noch sehr präsent), alle Kinder lange gestillt, mich durch Babymassagebücher durchgeknetet (die weder Kinder noch mich sonderlich begeistert haben) und mehrere teure Babyschwimmkurse mit den lieben Kleinen hinter mich gebracht. Ich bin, so lange ich es zeitlich konnte, wirklich zu jedem (bitte nicht vergessen, ich habe drei Kinder!) Elternabend, Eltern-Kind-Basteln, Laternenumzug, Sommerfest, Weihnachtsfeier, etc., etc., gehetzt, habe anfangs dabei sogar für jede Gruppe etwas Anderes zu Essen vorbereitet und mitgebracht, mir echt einen Stress gemacht, nur damit mein Kind nicht wegen mir auf irgendetwas verzichten muss. Wie es mir dabei ging, war zweitrangig.

Abgesehen davon, besteht mein Leben (wie das der meisten Mamis) ja nicht „nur“ aus meinen drei Kindern (alle sehr lebhaft, eines davon mit ADHS): ich studiere, arbeite nebenbei noch 20 Stunden die Woche, und muss neben unserem ganzen Papierkram und Haushalt auch noch den meines Opas mit organisieren, und ab 16:00 ist Westenddad arbeiten, dann bin ich quasi auch noch alleinerziehend. Zeit für mich bleibt da fast gar nicht, weder zum Bloggen (zwinker, zwinker), noch zum Malen, noch für ´nen Mädelsabend oder sonst was. Ich bin meistens einfach nur müde und fertig, vor allem abends, wenn ich die Kinder, nach einem langen Arbeits- und/ oder Uni-Tag von der Kita und der Schule abhole, würde ich am liebsten alleine zu Hause sein, mir in Ruhe etwas zu essen machen und mich vor den Fernseher fläzen, wie ich es vor gefühlt 100.000 Jahren mal gemacht habe, bevor ich Kinder hatte. Da die Kinder abends aber auch schon eine Menge Tag hinter sich haben, sind sie dann logischerweise auch müde und oft quengelig.

Ich merke, wie ich immer leichter reizbar, dünnhäutiger und gestresster werde, je mehr ich versuchte, perfekt zu sein, und je mehr sie es nicht sind (muss ja auch keiner!), und die Konsequenz davon ist, dass ich extrem angespannt, ungeduldig, und, ja sogar aggressiv, werde und sich schließlich der ganze Druck, den ich mir selber mache, unfairerweise bei dem kleinsten „Anlass“ meinen Kindern gegenüber entlädt („nur“ verbal, versteht sich! – ist aber natürlich auch nicht gut). Folglich geht es mir danach natürlich noch viel schlechter. Nachdem ich mich dann hundert Mal aufrichtig bei meinen Kindern entschuldigt habe, und diese dann im Bett sind, ist auch mein Abend gelaufen; dann sitze ich heulend allein auf dem Sofa und mache mir die schlimmsten Vorwürfe, was ich denn nur für eine Rabenmutter bin, die ihre armen Kinder angeschrien hat, und die wieder mal an ihren eigenen Idealen gescheitert ist.

Doch hey, wie war das eigentlich bei mir früher? Meine Mutter hat noch viel öfter geschrien als ich. Ich erinnere mich daran, dass meine Mutter damals kaum etwas mit mir unternommen hat und sich generell nicht besonders um mich gekümmert hat. Das war sicherlich auch nicht ideal, aber wenigstens war sie entspannt – jedenfalls in der Hinsicht. Oftmals schlief sie am Wochenende bis ca. 10:00 oder 10:30, während ich schon seit 8:00 wach war. Meine Langeweile, und meinen Hunger wusste ich mit Trickfilmen gucken und Cornflakes essen (auch mal ohne Milch, wenn keine mehr im Haus war…) zu bekämpfen. Irgendwann klingelte dann eine Freundin bei mir, oder ich bei ihr (in meinem Haus in Berlin-Wilmersdorf lebten nur alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern, entsprechend viele Freunde hatte ich in der Nähe), dann …spielten wir… drinnen, draußen, und hatten jede Menge Spaß. Selbst in einer Großstadt wie Berlin hatte niemand Bedenken, seine Kinder alleine auf dem Hof draußen spielen zu lassen. Ich war damals vielleicht fünf oder sechs. Heutzutage lassen die Eltern ihre Kinder nicht einmal alleine in die Schule gehen!

Aber woher kommt diese Überbehütung heute nur? Die Kriminalität, was Delikte der Kindesentführung u.ä. angeht, ist in den letzten 30 Jahren nicht merklich gestiegen – obgleich wir die Vorfälle, die es gibt, schon aufgrund der gesteigerten Medienpräsenz, sicher viel mehr mitbekommen als früher. Ich denke, zu 90% machen wir uns den Stress selber. Wir leben in einer Zeit des ständigen Wettbewerbs, wollen immer alles noch besser, schicker, lustiger und vielleicht auch sicherer haben als die anderen, und das geben wir auch so vor: siehe man sich doch nur mal die tausenden Facebook-Profile und -Beiträge an. Wenn Elsa-Sophies Eltern sie nur noch mit Fahrradhelm auf dem Spielplatz klettern lassen, dann wäre es wohl fast Körperverletzung, in jedem Fall aber eine grobe Vernachlässigung der Aufsichtspflicht, dies beim eigenen Kind nicht auch zu tun… In späteren Generationen wird man denken, die 2000er/ 2010er waren die Jahre der absoluten Freude, der Fürsorge und des Genusses. Doch weit gefehlt. Genau das Phänomen, nämlich, dass Geschichte nur das ist, was weitergegeben wird, sieht man an der heutigen Gesellschaft. Die Mütter, die mit Burnout in der Psychiatrie sitzen, oder völlig fertig nachdem die Kinder endlich im Bett sind, zu Hause zusammenbrechen, stets mit dem Gefühl, ihrem (völlig unrealistischen) Ideal wieder einmal nicht gerecht worden zu sein, postet niemand!

Ich will nicht für das krasse Gegenteil, à la meine Mutter plädieren, aber dennoch denke ich, dass ein wenig mehr Gelassenheit dem Thema Erziehung nicht schaden würde; den Kindern nicht, aber vor allem und ganz besonders wäre es ihren Eltern eine wahre Erleichterung.

In Stresssituationen bitte immer dran denken:

  1. Man muss den Geburtstagskuchen nicht immer selbst backen um eine gute Mutter zu sein
  2. Eltern sind nicht dafür da, ihre Kinder 24 Stunden zu bespaßen und zu beschäftigen, vielmehr müssen Kinder lernen, ihre Freizeit selbst zu gestalten; Langeweile regt die Fantasie an!
  3. Kinder brauchen nicht jeden Abend eine Gute-Nacht-Geschichte, jedenfalls nicht, wenn es der Mutter gerade nicht passt
  4. Kinder brauchen eine gesunde, vielseitige Ernährung, aber manchmal tut´s auch ein lecker belegtes Brot oder (Hilfe!) eine TK Pizza, wenn die gestressten Eltern es sonst nicht schaffen!
  5. Gute Eltern sind nicht weniger gut, wenn sie nicht an allen Elternabenden, -cafés, Bastelabenden, Sommer- oder Weihnachtsfeiern, Laternenumzügen etc. teilnehmen
  6. Auch gute Eltern sind nur Menschen und trotz fester alternativer Erziehungsvorsätzen, können selbst ihnen mal die Sicherungen durchbrennen. Sollte es mal dazu kommen, dass sie ihren geliebten Nachwuchs anschreien oder ihnen gar mal die Hand „ausrutscht“ (wobei ich diesen Ausdruck hasse), ist das kein Grund zur Selbstgeißelung. Eine aufrichtige Entschuldigung, inklusive Erklärung, wie es soweit kommen konnte und das man alles dafür tut, dass es nicht wieder passiert, wird vom Kind verstanden und verziehen.
  7. Leichter gesagt als getan und dennoch sooooo wahr: don´t worry (too much), be HAPPY!!!  Sorgt dafür, dass es euch gut geht. Nehmt euch Auszeiten, so wie ich letzten Monat bei meinem Kurztrip ganz ohne Kinder, geht zum Yoga/ Tanzkurs, frönt euren Hobbies, macht… einfach mal gar nichts, bzw. einfach nur das, wozu IHR Lust habt! Und, ganz wichtig, seid nicht so streng mit euch selbst!keep-calm-and-say-ooohhhmmm-1.png (600×700)

Viel wichtiger als der wahnwitzige (da von vornherein zum Scheitern verurteilte) Vorsatz, die perfekte Mama zu sein, ist es fürs Kind, dass die Mama authentisch ist. Um gut als Eltern zu sein und trotzdem sich selbst nicht zu vernachlässigen, gehört ganz klar ein gesunder Egoismus, sowie Vertrauen ins eigene Kind dazu! Das ist enorm wichtig, da die völlige Selbstaufgabe jeden, je nach Charakter früher oder später, ungesund und unglücklich macht. Und pädagogisch wertvoll fürs Kind ist es obendrein: wer von klein auf lernt, dass auch die Mama sich mal Auszeiten gönnt und für das Kind nicht immer sofort alles stehen und liegen lässt (also nicht immer ihre eigenen Bedürfnisse hintenanstellt), lernt früh, dass er nicht der Nabel der Welt ist, sondern dass auch die Anderen Bedürfnisse und Gefühle haben, die es zu respektieren gilt. Ebenso wird das Kind lernen, auch auf seine eigenen Bedürfnisse zu hören. Vertrauen ins eigene Kind ist ebenfalls für beide Parteien (Eltern und Kinder) unabdingbar: Eltern müssen lernen, Ihrem Kind zu vertrauen, es z.B. alleine in die Schule gehen lassen, so dass es lernt, selbständig und stolz darauf zu sein. Diese Unabhängigkeit kommt beiden Seiten zu Gute. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie viele unselbstständige, weil von „Helikopter-Eltern“ überbehütete Kinder, in der nächsten Zeit erwachsen werden und dann völlig orientierungslos auf unserem Planeten herumirren….

Also, vertraut in eure Kinder und erzieht sie zur Selbständigkeit, und vergesst euch selber nie dabei!

OOOOOOOHHHHHHMMMMMMMMMM………………………

*Dieser Text richtet sich natürlich auch an alle Väter, die sich bitte nicht benachteiligt fühlen sollen, wenn ich sie nicht explizit anspreche!! (…wobei die meisten, die ich kenne, tendenziell weitaus entspannter mit dem Thema umgehen…)

1(laut Anne Schilling, Geschäftsführerin des Müttergenesungswerkes für Spiegel Online)

 

11 Kommentare zu „Entspannt euch, Mütter!*

  1. Toller Beitrag 😉 man hat selber sooo grosse Erwartungen an sich selbst, aber wir selber vergessen uns dabei völlig 🙂 das Thema hab ich auch schon angesprochen besuch mich doch mal gruss Missionmom

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  2. Oh, du sprichst mir aus der Seele. Es tut richtig gut, zu lesen, dass es noch mehr „verrückte“ Mütter gibt, die sich bekloppt machen und stressen.
    Ich gehe jetzt mit meiner Tochter in die Küche und öffne ein Brei-Gläschen … 😉

    Danke für deinen ehrlichen Beitrag und liebe Grüße 🍂

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    1. 😂😂😂 na dann guten Appetit der Kleinen! Ja, ich glaube tatsächlich, es gibt mehr von uns Mütter, die eigentlich recht „normal“ geblieben sind, sich aber dennoch von unrealistischen Idealen stressen lassen, als wir denken… Danke für deinen Kommentar! 😊

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  3. Darf ich Deinen Beitrag rebloggen? Wenn Du das nicht so gern möchtest, kannst Du diesen Kommentar auch einfach löschen. Ich finde Deinen Beitrag klasse, weil er so viele wichtige Aspekte auf einmal enthält.

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